Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Sascha Weidner, Bleiben ist nirgends
Eißfeldts Meister: Langer, Weidner, Wegener, Göttingen 2006
SASCHA WEIDNER: "BLEIBEN IST NIRGENDS"
Die Art der Annäherung an ein Bild, ein Kunstwerk kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen: ikonografisch analysierend, kunsthistorisch einordnend, inhaltlich reflektierend, realistisch vergleichend, emphatisch begreifend. Ein Zugang zu Weidners Arbeiten eröffnet uns der Titel seiner fotografischen Reihe selbst – entnommen den „Duineser Elegien“ von Rainer Maria Rilke , verweist das Zitat auf die ureigensten Antriebskräfte der menschlichen Existenz, auf die Polaritäten des Lebens, auf die Würze schaurig-schöner Ereignisse, die sich für Ewigkeiten ins Gedächtnis brennen.
Das Leben ist bestimmt durch Gegensätzlichkeiten: Kindheit und Alter, Schönheit und Schrecken, Furcht und Freude, Leben und Tod, Leidenschaft und Langeweile, Vollkommenheit, Makel und Ungestalt. Diese Extreme beherrschen das Sein und begleiten die Menschheit. Zwischen diesen Polen, zwischen Abgründigem und Hoffnungsvollem versucht der Mensch seine Schritte auf dieser Welt. Auch die Aufnahmen von Weidner kreisen wie Rilkes 1923 abgeschlossene Sammlung von zehn Klagegedichten um Fragen der existentiellen Suche, Fotografie und Text formen den Sinn des Seins angesichts des unausweichlichen Vergehens gleichermaßen in Bildern.
Das Leben geht weiter! Als Neo-Romantiker verklärt Weidner die Erfahrungen und versucht den erlittenen Grausamkeiten eine ihnen eigene Schönheit abzugewinnen, das Geschehene in Gaben zu verpacken. Sein Ausgangsmaterial sind schon vorhandene fotografische, vorwiegend den Massenmedien entnommene, vom Fernsehen und Internet generierte, aber auch der Kunstgeschichte entlehnte Bilder. Diesen Bildzitaten stellt er eigene, persönliche Aufnahmen zur Seite, die auf das gefundene öffentliche Material verweisen, es kommentieren, neue individuelle Lese- und Interpretationsmöglichkeiten eröffnen. Schafft Weidner damit nicht eine spannungsreiche Balance zwischen den offiziellen Bildern, die über die Medien „kanonisiert“ werden, und den persönlichen Aufnahmen, den individuellen Shots, die Wahrnehmungen aus dem biographischen Unterwegssein dagegensetzen?
Anstoß der Bildreihe war das kollektive Erleben der bildlichen Aufbereitung des Unglücks vom 11. September. Die übermediale Präsenz der immer gleichen Bilder auf allen Kanälen, teilweise unterlegt mit Musik, erreichte, dass die Aufnahmen dieses vernichtenden Unglücks trotz seiner ungeheuren Tragweite auf einmal wunderschön wirkten, derart, dass man sich ihnen kaum entziehen mochte. Immer wieder stürzten die beiden Türme des World Trade Centers vor den Augen der ganzen Welt zusammen, immer wieder wuchsen aus dem Rauch jene bizarren Trümmerberge, die eine Faszination in Form und Atmosphäre ausstrahlten.
Derartige und weitere mediale „Vorbilder“ der Weidnerschen Serie sind im Buch in Ausschnitten, aber formatfüllend wiedergegeben. Indem der Künstler die Vorlagen extrem vergrößert hat, verfremdet er die Bilder. Die abstrahierenden Rasterpunkte der gedruckten Fotos werden zum strukturierenden Element. Die Wiedererkennbarkeit eines konkreten Ereignisses im Bild verschwindet zugunsten der medialen und zugleich emotionalen Identifikation mit Ereignissen zwischen wahrnehmbarem Zustand und subjektivem Empfinden. Es entstehen visuell verdichtete Situationen, die eine ähnliche lexikalische Bildstruktur oder eine vergleichbare Energie aufweisen. Der Betrachter erinnert sich an ein ganz bestimmtes, an „sein“ Bild und die ihr zugrunde liegende Situation: Dem zerstörten World Trade Center, den zurückgelassenen Wäschebergen aus einem Flüchtlingslager in Afghanistan, dem Challenger-Unglück oder dem Waldbrand stellt Weidner seine Bildantworten in der Größe eines Kontaktabzuges von 6cm x 6cm gegenüber: Trümmer eines abgerissenen Gebäudes in Braunschweig mit dem auf Caspar David Friedrich verweisenden Titel „Das Eismeer“; auf einem Bett zurückgelassene Kleider zweier Freunde während eines Aufenthaltes in Paris, ein zufällig wahrgenommener Autounfall.
Seine Aufnahmen bestätigen das Vorbild keineswegs sondern beunruhigen in der Abweichung. Wirkt zum Beispiel die Fotografie des aufs Dach gelegten, völlig intakt erscheinenden Autos im ersten Moment wie eine reine Inszenierung – keine Splitter, kein Blut auf dem Asphalt weisen auf ein Unglück hin – so ist die vorgefundene Situation doch authentisch, das Geschehen verblüffender Weise tatsächlich passiert. Mit seinem Gespür für kuriose und surreale Szenerien zieht Weidner Querverbindungen und Fäden zwischen heterogenen Erfahrungen und Eindrücken, die er als selbst erlebte ablichtet, manipuliert oder teilinszeniert. Er verwendet die Wirklichkeit, ihre Kollisionen und Karambolagen in ihrer unverstellten und insofern wahrhaftigen Darstellung, geht aber einen Schritt weiter, indem er übertreibt und hinterfragt. „Was mir letztlich wahrscheinlich am meisten Angst macht, ist die Realität“, verlautete der amerikanische Fotokünstler Gregory Crewdson, dessen Bilder als perfekte, filmisch umgesetzte Inszenierungen seiner Phantasien und Vorstellungen sich mit der wirklichen Welt vermischen. Für Weidner dagegen ist Realität kein zurechtinszeniertes Schreckensszenario, sondern eine mögliche Form von Zugang zu den offiziellen und persönlichen Bildern dieser Welt.
© Franziska Schmidt, 2006
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