Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Photonews, Hendrik Berinson
Photonews, Nr. 7-8/ 2019
DIE KUNST UND DAS SAMMELN FOLGEN GANZ EIGENEN REGELN.
IM GESPRÄCH MIT DEM GALERISTEN UND SAMMLER HENDRIK BERINSON
Trotz ihrer vergleichsweise kleinen Größe gehört die Galerie Berinson zu den international renommiertesten Galerien, wenn es um Fotografie und Kunst der Avantgardebewegungen des 20. Jahrhunderts geht. Neben dem Handel mit Vintage Fotografie und Werken der bildenden Kunst werden regelmäßig Ausstellungen gezeigt und Kataloge publiziert. Die Künstlernamen lesen sich wie das Who’s Who aus bauhaus, Dadaismus, Konstruktivismus, Surrealismus oder Neuer Sachlichkeit – Hans Bellmer, Aenne Biermann, Hannah Höch, El Lissitzky, Alexander Rodtschenko, Albert Renger-Patzsch, August Sander, um nur einige wenige Namen zu nennen. Entdeckungen der osteuropäischen Avantgarde wie StanisÅ‚aw Ignacy Witkiewicz oder Samuel Szczekacz sowie Vertreter der amerikanischen Fotografie oder frühe Ansichten von Berlin gehören ebenso zum Galerieprogramm.
Für Photonews habe ich mich mit dem Galeristen Hendrik Berinson getroffen und ihn unter anderem zu seinen Anfängen als Fotosammler und Galeristen, zum Fotogeschmack im Allgemeinen und zum Kunstmarkt im Besondern sowie zu seinen Wünschen befragt. Der nachfolgende Text ist eine Zusammenfassung des Gesprächs.
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Sein erstes Foto hat Hendrik Berinson 1982 gekauft. Es war eine Aufnahme von August Sander, dessen Werk für den damals 22-Jährigen einer Art Initialzündung glich. Nachdem er ein im Schirmer und Mosel Verlag erschienenes Buch „August Sander. Die Menschen des 20. Jahrhunderts“ gesehen hatte, wusste er sofort: „Das ist meins“1.
Dieses Buch hatte ich von meinen Vater geschenkt bekommen und war völlig begeistert. Ich habe mich monatelang jeden Tag damit beschäftigt. Auch wenn ich Sander zuvor nicht kannte, habe ich intuitiv verstanden, was Fotografie bedeuten kann. Zufälligerweise wurde dann bei einem Hamburger Auktionshaus ein Foto von Sander angeboten, was ich mir zum Geburtstag gewünscht und dann für immerhin 1.100 Mark gekauft habe.
Was mich bei Sander vor allem faszinierte, waren die Einzelaufnahmen. Man sah sofort die ungeheure Qualität in jedem einzelnen Bild. Darüberhinaus beeindruckten die Arbeiten in ihrem Zusammenhang. Das Werk von Sander lässt sich wie eine Erzählung oder ein Roman lesen. Das gibt es nicht so oft in der Fotografie, das jemand über Jahrzehnte Bilder macht, die einen Zusammenhang ergeben. Diese Konsequenz ist bei Sander einmalig. Der Spannungsbogen änderte sich überhaupt nicht. Das hatte mich umgehauen. Es war wie mit einem Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann.
Berinson begann sich mit Fotografie zu beschäftigen, recherchierte Namen, in Büchern, vor allem Erstausgaben, sowie Zeitschriften, Magazinen und Journalen. Er lernte Nachlässe, Sammler, Händler kennen, hat Auktionen besucht und gekauft.
Ich hatte am Anfang das Bild von Sander ja ohne Plan erstanden. Ich wusste also sehr wenig über Fotografie. Es hat Zeit gebraucht und war alles andere als einfach. Ich hatte wenig Geld. Aber es gab immer wieder Gelegenheiten. Zum Beispiel tauchten bei einem kleinen Auktionshaus Arbeiten des amerikanischen Fotografen Weegee auf, die relativ günstig waren. Eines Tages bin ich auf Bilder von Heinrich Hauser vom Folkwang-Auriga-Verlag gestoßen und habe nach weiteren gesucht. Auch habe ich viel herumgefragt und gelesen, so zum Beispiel über Alfred Ehrhardt. Dann gab es diese sensationelle Auktion in Düsseldorf mit einer ganzen Reihe von Ausstellungsabzügen von Albert Renger-Patzsch. Zu dieser Auktion gingen alle hin, die irgendetwas mit Fotografie zu tun hatten. Das teuerste Foto erzielte einen absoluten Spitzenpreis. Auch ich habe eine Handvoll Bilder gekauft.
Irgendwann ging das Geld zur Neige. Berinson nahm seine Fotos und flog damit 1985 nach New York. Dort verkaufte er alles, um sich von dem Geld wiederum neue Bilder zu beschaffen.2 Aus dem Sammler wurde der Händler Berinson.
Es gab damals ein Buch von Lee Witkin, „The Photograph Collector’s Guide“. Darin standen sämtliche Informationen über die wichtigsten Fotografen mit Preisangaben, Beschreibungen und Beispielen von Stempeln und Unterschriften, ebenso Adressen von Museen und Galerien in New York und Amerika. Dort habe ich angerufen und meine Arbeiten angeboten. So ging es eigentlich los.
Ein Jahr später gründete Berinson in der Giesebrechtstraße in Berlin-Charlottenburg eine Galerie, war später einige Jahre nur als Händler tätig, um 1998 erneut eigene Galerieräume in der Auguststraße in Berlin-Mitte zu eröffnen, womit der eigentliche „Siegeszug der Galerie“3 begann. Es folgten als Standorte das Galerienhaus in der Lindenstraße und 2017 die Schlüterstraße in Charlottenburg.
Der Anfang der Galerie war eigentlich ein Zufall. Ich habe ein paar Jahre in Paris gelebt, fuhr aber öfters nach Berlin. 1986 war ich in der Galerie eines Bekannten, der sagte, er würde die Räume aufgeben, um ein paar Straßen weiter zu ziehen. In dieser Sekunde habe ich mich entschieden, eine Galerie aufzumachen. Es waren einige Jahre vor dem Mauerfall, eine eher bleierne Zeit und hat kaum etwas gebracht. Nur wenige Besucher kamen. Ich habe dann aber später mit der Galerie weiter gemacht. Ich finde es interessant, Ausstellungen zu machen, sich immer etwas Neues ausdenken zu müssen. Man kommt auf gute Gedanken und lernt andere Menschen kennen. Ohne die inhaltliche Arbeit wäre es eintönig und man würde nicht die Resultate der eigenen Bemühungen sehen.
Immer wieder erstaunt Berinson mit seinem Gespür für besondere oder seltene Positionen sowie unbekannte Werke und Namen. Ständig ist er auf der Suche nach Arbeiten. So hat er unter anderem Künstler wie Witkiewicz oder den Nachlass von Moritz Melzer ausgegraben.
Ich habe – und das mache ich bis heute – viel recherchiert, obwohl man glauben könnte, dass die Nachlässe bereits abgegrast sind, auch weil sich die Auktionshäuser verstärkt darum kümmern. Außerdem bin ich sehr viel gereist, habe einfach an Haustüren geklingelt. Man darf nicht vergessen, dass Informationen früher sehr viel schwerer zugänglich waren als heute. Ich bin teilweise auf die Post gegangen und habe Bücher gewälzt, um Telefonnummern herauszubekommen. Außerdem ist es wichtig, Zusammenhänge zu erkennen. Man investiert viel Zeit und beschäftigt sich intensiv mit einem Thema. Es braucht auch Inspiration. So gibt es immer wieder Entdeckungen.
Es kommt oft vor, dass Berinson ein Thema lange verfolgt und dann jahrelang dazu sammelt. Bei Moissej Nappelbaum hat es zwanzig Jahre gebraucht bis Ausstellung und Buch realisiert werden konnten.4 Ähnliches gilt auch für Weegee. Und das Werk von Albert Renger-Patzsch wurde so etwas wie zur Passion.
Bei Weegee hat sich das so entwickelt. Zwei, drei Fotos – mehr wollte ich nicht haben. Und ich habe gar nicht weiter daran gedacht. Aber zufällig habe ich seine Witwe in New York kennen gelernt und habe dann über Jahre direkt aus dem Nachlass gekauft. Von Albert Renger-Patzsch, einem der bedeutendsten deutschen Fotografen, gibt es, auch wenn ein Großteil seines Archives zerstört wurde, sehr viel, da dieser lange fotografiert und viele Prints gemacht hat, wovon er etliches verkaufte oder verschenkte, darunter auch bedeutende Abzüge. Renger-Patzsch habe ich in dem Sinne gesammelt. Über die Jahre ist einiges zusammen gekommen. Ich habe natürlich auch verkauft.
Bei Berinson verbindet sich also Sammelleidenschaft mit dem Geschick und Gespür eines Händlers.
Wozu sammelt man? Wenn man sich wirklich mit einem Thema beschäftigen will, vor allem als Händler, muss ich das Vertrauen meiner Kunden haben, von den Institutionen bis zu hochkarätigen Privatleuten. Ich muss hinter den Dingen stehen und mich intensiv mit der Materie beschäftigen, die Arbeiten eine Zeitlang besitzen, manchmal jahrelang, manchmal auch sehr teuer erkauft. Das halte ich für wichtig. Ich sage nicht: Morgen kaufe ich ein Bild und übermorgen versuche ich dafür einen Kunden zu finden. Es braucht Zeit für den richtigen Sammler oder das richtige Museum. Das ist kein An- und Verkauf. Abgesehen davon, dass es wichtig ist, dass ich mich sehr gut auskenne, ist es genauso wichtig, ein gutes Lager zu haben. Mittlerweile habe ich so viele Sachen, dass es kaum Ausstellungen gibt, nicht nur zur Fotografie sondern auch zur Kunst der 1920er und 1930er Jahren, die ohne Leihgaben von mir nicht auskommen. Vielleicht leihen die Museen untereinander nicht so gern oder sie haben es nicht oder die Kuratoren wissen es nicht oder es ist zu kompliziert. Ich wundere mich manchmal, dass wir so viele Leihanfragen erhalten.
Ein Zitat von Berinson ist mittlerweile so etwas wie zu einem Markenzeichen geworden: „Ich interessiere mich eben ausschließlich für Qualität“5.
Qualität ist in gewisser Weise eine Wahnvorstellung von mir, eigentlich von allen Leuten, die Sammler sind. Man kann berechtigt fragen, warum Werke überhaupt einen bestimmten Wert besitzen. Für den einen bedeutet es Qualität, für den anderen ist es Trivialität. Ich bin mir durchaus bewusst, das es teilweise an eine Form von Irrsinn grenzt, wenn man behauptet, dass ein Abzug, zum Beispiel ein ganz bestimmtes Pressefoto, sehr wertvoll sein soll. Und die meisten Menschen werden das auch – ich will nicht sagen – nicht begreifen. Sie werden es einfach anders sehen. Es ist so, als würde man einer Geheimlehre anhängen, die nur etwas für Eingeweihte ist. Und in gewisser Weise ist es auch so. Die Kunst und das Sammeln folgen ganz eigenen Regeln.
Ich will mit dem, was ich mache, nicht unter einem bestimmten Niveau bleiben. Ich möchte den Leuten Arbeiten vermitteln, an denen sie auch ihre Freude haben und die bedeutend genug sind, dass diese entweder einmal an ein Museum weiter gegeben oder anderweitig verkauft werden können, ohne das man sich dafür schämen muss. Darauf lege ich großen Wert. Ich möchte nicht etwas verkaufen, dass dann ein paar Jahre später oder gleich nach dem Verkauf nur noch die Hälfte wert ist oder nie etwas wert war.
Generell verkaufe ich nur Arbeiten, die ich selbst besitze bzw. die ich auch gerne hätte. Ich finde, man muss Verantwortung für das übernehmen, was man weitergibt.
Während andere Galerien neben der modernen Fotografie oft ein zweites zeitgenössisches Segment aufgebaut haben, ist Berinson stets konsequent geblieben.
Das Zeitgenössische hat mich nie interessiert. Das ist jetzt keine Wertung, sondern das ist einfach so. Ich habe, vielleicht leider, immer das gemacht, was mir gefallen hat, sowohl in der Fotografie als auch später in der Malerei und bildenden Kunst, immer im Kontext der 1920er und 1930er Jahre. Ob das jetzt vom Geschäft her immer so vernünftig war, ist etwas anderes. Ich habe einfach keinen Zugang zu aktuellen Positionen, jedenfalls nur in den seltensten Fällen. Das ist letzten Endes ein ganz anderer Job. Wenn man sich für zeitgenössische Künstler interessiert, muss man sich wirklich um die Leute kümmern. Das ist nichts, was ich machen könnte. Davon abgesehen halte ich den Markt von zeitgenössischer Kunst, insbesondere Fotografie für völlig inflationär. Insofern: Schuster bleib bei deinen Leisten!
Mit der Galerie war Berinson auf den wichtigen Messen weltweit präsent, unter anderem auf der Paris Photo, Photo LA oder Art Cologne. Die Art Basel ist bis heute die kontinuierlichste und wichtigste Messebeteiligung der Galerie geblieben.
Ich habe viele Messen oft einfach so mitgemacht, ohne es dann weiter zu verfolgen. Auf der Art Basel bin ich aber seit fast zwanzig Jahren. Allerdings zeige ich wenig Fotografie. Ich habe das oft als schwierig empfunden, weil ich nicht die Werke habe, die sich auf Messen leicht verkaufen lassen. Und das ist eigentlich bis heute so geblieben, bis auf eine Ausnahme von einem kleinen Foto von Helmut Newton. Das hat sich rasend schnell verkauft. Aber die anderen Arbeiten, die ich für hoch interessant halte, sind schwer zu vermitteln, nicht nur was Fotografie sondern auch was die Kunst angeht.
Die Preise auf dem Auktionsmarkt für Vintage Fotografie haben sich in Deutschland stetig entwickelt. Einen Quantensprung auf dem deutschen Fotomarkt erzielte 2018 das Berliner Auktionshaus Grisebach mit einem Preis von 490.000 EUR für ein unikates Fotogramm von László Moholy-Nagy. Und doch ist der Markt für anspruchsvolle Vintage Fotografie der klassischen Moderne eher speziell und klein geblieben. Wie steht es damit zum Beispiel in Berlin?
Meiner Meinung nach gibt es überhaupt keinen Markt in Berlin. Überhaupt gibt es weltweit nur einen sehr begrenzten Käuferkreis für die wirklich interessanten Werke, was nicht unbedingt vom Preis abhängig ist. Ich kenne kaum Leute unter 60, die die Art von Vintage Fotografie, die mich interessiert, sammeln würden. Es tauchen zwar durchaus immer mal wieder neue Sammler auf. Aber seit Thomas Walter und Manfred Heiting habe ich kaum jemanden kennen gelernt, der in einer vergleichbaren Qualität und Quantität enzyklopädisch gesammelt hätte. Früher wusste man sehr gut, wonach Sammler gesucht haben. Das ist heute anders. Es gibt einige Sammler, die einen raffinierten Geschmack und modernistische, hochkarätige Werke haben. Die Frage ist da oft, wo genau findet man dafür das Geeignete. Und wenn man es dann gefunden hat, ist es manchmal so teuer, dass man es nicht weiter verkaufen kann. Es ist also kompliziert.
Wie wäre es, einen größeren Bestand der Sammlung bzw. der Galerie an eine Institution wie ein Museum zu veräußern?
Ich hätte nichts dagegen. Klar. Diese Institution könnte auf jeden Fall sicher sein, dass sie eine Sammlung erhält, die sie nie wieder zusammen bekommen wird und wo jedes einzelne Werk von allergrößter Qualität und Seltenheit ist.
Gibt es etwas, was man sich für die Fotografie oder den Fotomarkt in Deutschland wünschen sollte?
Was heißt wünschen? Man kann den Geschmack der Menschen nicht wirklich beeinflussen. Ich merke das unter anderem auf Instagram: Die schwierigeren Fotos werden weniger gelikt, umso stärker die gefälligeren. Es ist wie mit dem Konsumverhalten. Es muss eine Marke sein. Sobald es ein wenig komplizierter wird, springen die meisten Leute ab.
Ich habe den Luxus, in der Galerie das zeigen zu können, wozu ich Lust habe, obwohl die meisten Sachen nicht von großem Erfolg gekrönt sind. Je weniger die Künstler bekannt sind und je komplexer die Werke, umso weniger wird gekauft. So ist der Markt. Und viele Ausstellungsmacher orientieren sich eher am Markt. Es gibt weltweit unglaublich interessante und wichtige Fotografen, die in Deutschland niemals gezeigt werden, zum Beispiel Edward Weston, Manuel Álvarez Bravo oder Tina Modotti.
In dem Sinne würde ich mir schon wünschen, dass dafür ein größeres Interesse vorhanden wäre.
Franziska Schmidt, 2019
Fußnoten:
1-3) Vgl. u. zit. n. Veit Stiller, „Mit einem Koffer voller Fotos nach New York“, in: Die Welt, 30.07.2004. Siehe: https://www.welt.de/103027234.
4) Alexander Cammann, „Ein Regisseur des Lichts“, in: DIE ZEIT, 5.7.2012, S. 53.
5) Hendrik Berinson, in: „Zum farbigen Quadrat“, in: Der Tagesspiegel, 3.3.2018. Zit. n.: https://www.pressreader.com
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