Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Peter Oehlmann, Landschaft in uns
Peter Oehlmann. Über Land, ed. by Haus am Kleistpark, Berlin 2018
Die Landschaft in uns – Betrachtungen in Schwarzweiß und Farbe
„Die Landschaft meiner Kindheit ist in mich eingeschrieben wie die Wärme, die Stimme, der Duft meiner Mutter. (Peter Oehlmann)
Landschaften müssen empfunden werden. In jedem von uns existiert ein Gefühlsgedächtnis, das tief verankert ist, lange bevor die reflektierende Erinnerung einsetzt. Denken wir an Landschaft, denken wir auch an Heimat, zumindest an eine gefühlte Heimat. Dies kann paradoxerweise auch die Fremde bedeuten. Nicht immer lässt sich beschreiben, warum bestimmte Orte oder Gegenden uns berühren. Warum also fühlt man sich einer Region verbunden? Sind es die Farben, ist es die Form, eine Stimmung oder ein Nachsinnen darüber? Eine Landschaft kann im weitesten Sinne auch als Metapher verstanden werden, etwas, das wir geprägt haben und uns wiederum bestimmt. Landschaften unterliegen dem Wandel der Gezeiten, der Geschichte und besitzen deswegen eine menschliche aber auch sinnliche Dimension. Gibt es so etwas wie eine vorbestimmte, erinnerte Landschaft, die in uns wohnt? Einer Landschaft kann auch eine bestimmte Aura zugrunde liegen, ein „ sonderbares Gespinst von Raum und Zeit“ (Peter Sager). Dafür muss der Anblick nicht einmal schön sein. Alltägliche, karge, entleerte Flächen oder schwer zu deutende Ausschnitte können ein sonderbares Eigenleben entfalten. Eine gewisse Leere scheint wichtig, um das Wesentliche im Blick behalten und das Bild mit persönlichen Geschichten und Gedanken füllen und verfeinern zu können. So vermag eine Form von Poesie nichtssagende Landstriche in bedeutende zu verwandeln und ihnen eine tiefere Bedeutung zuzuschreiben.
Eine Art Bilder-Kompendium, das Zeiten, Abläufe, Entfernungen, Visionen zu einer metaphorischen Erzählung, gar zu Störbildern und einem abstrakten Bildgefüge zusammenschmelzen lässt, hat Peter Oehlmann mit seiner Auswahl „Über Land“ aus 30 Jahren geschaffen: „Im Zug durchs Land zu fahren und die wechselnden Ansichten der Landschaft zu betrachten, hat nicht nur eine filmische Faszination. Mitunter erinnert es mich an das Umblättern der Seiten eines vielschichtigen Textes, den ich wegen der Geschwindigkeit nur diagonal lesen kann, dessen Szenen und Bilder mir aber später in anderen Bedeutungszusammenhängen aufscheinen.“ Auf seinen Reisen, einer Suche nach Geschichten, Ereignissen, vertrauten und fremden Spuren, die sich in uneindeutigen, rätselhaften Gegenden finden lassen, entstanden Bildepisoden wie aus einem Erzählstück. Sie stellen sich als Erinnerung oder Illusion in schwarzweißen Tönen dar oder verweisen auf Gegenwärtiges und Bevorstehendes in zart-satten Farben. Wir begegnen Ausschnitten aus den Serien „Graulandbilder“ (1986–1988) oder „Anhalt“ (1996–1999) und folgen den Eindrücken, die Oehlmann in den 2000er Jahren u.a. in Frankreich, Chile, Argentinien, Georgien, auch Deutschland sammeln konnte.
Es sind große und kleine Augenblicke, All-Ansichten oder zurechtgestutzte Fragmente. Dabei kommt es nicht selten zu irritierenden Bildanalogien, die nicht so recht zusammen passen wollen aber zugleich doch auch aufeinander verweisen. Seine Bilder zu "finden, bevor man mit dem Suchen beginnt.“ (Peter Thieme), den Unschärfen des Gesehenen nachzugehen, hat Oehlmann, der „Bruchstellensucher“ (Göran Gnaudschun) trefflich vermocht und seine Aufmerksamkeit an die Ränder, an die Peripherien, auf die Fragezeichen im Sucher und Risse im Bild gelenkt. Das Dazwischen, das Indirekte, das Unzeigbare, das aus dem Bild hinaus Verweisende sprechen Oehlmann an. Wie gelingt es, ein Portraitbild von Gegenden in ihrem räumlichen und zeitlichen Maß zu entwerfen? Wie lassen sich Struktur- und Weltenwandel fotografisch formulieren? Und was kann Landschaft eigentlich überhaupt von all dem wiedergeben? Letztendlich ist alles da, man muss nur genau hinsehen:
Die intellektuelle Enge eines politischen Systems, die bleierne Müdigkeit der Zeit im Osten lassen sich mit einer ästhetischen Armut im Bild, in der sich nur ein paar Linien in der Tiefe verlieren, in einer Art Gleichnis skizzieren. Und über allem liegt ein Schleier: Wie über den Leipziger Kolonien, die sich zu einem gleichförmig-eintönigen Feld aneinanderreihen. Wie über dem Birkenwald, der sich als Trugbild auf Tapete entpuppt. Wie über den sich aus dem Dunkel schälenden Streben eines Geländers oder den nicht enden wollenden Stadiontreppen als diffuses, fast bedrohliches Gespinst. Nicht zu vergessen jene grauen, verbauten, spröden und alltäglichen Plätze, kulissenhaft wirkenden Abraumhalden sowie allerorts Gebäude ohne klarem Gesicht. Oehlmanns frühe Schwarzweiß-Aufnahmen sind mehr Befindlichkeitszuschreibungen als Dokumentationen und beziehen sich reflexiv auf ein Ist-Gefüge von Leben und Schein. Mag es Oehlmann ähnlich ergangen sein, wie Einar Schleef über sein „Zuhause“ Sangerhausen zu formulieren wußte? "Nie mehr zurück, das verwinden, fliehen, bis man ein eigenes Zuhause hat, was einen erstickt und auffrißt." In diesem kleinen kargen Umfeld versinken wir wahrlich in historischer Melancholie und können doch zugleich dabei Schönheit und Frieden empfinden.
Hingegen die Farbeindrücke seiner späteren Reisen durch die Welt, die überall das Eingreifen und Durchgreifen des Menschen festzuhalten vermögen. Wir sehen das Augenblickliche und erahnen bereits die Zukunft darin. Eine abstrakte Poesie, die sich in der Oberflächenstruktur, in kleinen angedeuteten Details niederschlägt. Und stets ist der Mensch mit im Bild! Vor einem Gletscherfeld sehen wir ihn stehen, auf das weiße endlose Panorama wie auf einen Bildschirm schauen. Aufgeworfene Erde durchpflügt und zerstört die Weiten. Gezackte Straßenlinien fräsen sich durchs Gebirge und übers Land und die Menschen, ameisengleich, dringen bis in die entlegensten Winkel vor. Überall Relikte der Zivilisation verstreut, in die Natur verbaute Häuser, ins Nichts führende Asphaltwege – dies ähnelt unwirklichen Szenerien, die sich aber genau so finden lassen. Landschaft verkommt zur Anschauung, zum Objekt, woran man sich einfach bedienen kann. In unseren Vorstellungen übermächtig und hyperreal, beim näheren Hinsehen jedoch fragil, darin offenbart sich der Kontrast und gleichzeitig der Wunsch nach dem Ursprünglichen.
Vielleicht verhält es sich mit Landschaft und dem Über-Land reisen so, wie Oehlmann es selbst einmal beschrieben hat: „Manchmal stelle ich mir den Tod als immerwährende Rückkehr in diese Landschaft [der Kindheit] vor.“ Somit bewahrt jeder im Innersten für sich eine Sehnsucht und damit seine eigene Sicht auf uns selbst.
Franziska Schmidt, 2018
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