Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Heinrich Heidersberger, MS Antlantic
MS Atlantic. New York – Cuba. Heinrich Heidersberger, Köln 2006
JA WENN HEINRICH HEIDERSBERGER NICHT HEINRICH HEIDERSBERGER WÄRE
Heidersberger ist ein Maler, Tüftler, Techniker, Wissenschaftler und Fotograf, vielleicht sogar einer der besten Architekturfotografen, die Deutschland in den fünfziger und sechziger Jahre besessen hatte. Und Heidersberger war ein Perfektionist. Nie zufrieden mit dem, was er einfach nur sah, wartete er stunden-, ja manchmal sogar tagelang auf das richtige Licht, den passenden Augenblick, den definitiven Moment. Im Labor setzte er alle Anstrengungen auf die Abzüge, bis seine schwarzweißen Aufnahmen fast hyperreal erschienen.
Heidersberger, offiziell
Heidersberger machte sich einen Namen. Der präzise, eigenwillige und im Detail fast schon choreografisch wirkende Stil seiner Fotos imponierte vielen Architketen seiner Zeit und überzeugte nicht nur die Meister der ‚Braunschweiger Schule’, für die er nach dem Kriege auf den Baustellen als Fotograf unterwegs war. Er nutzte die neuen technischen Möglichkeiten der Fotografie und schöpfte aus der Verknüpfung von Technik, Wissenschaft und Kunst eine neue Art des Sehens.
Wohl aus diesem Grunde erkannte die prosperierende Stadt Wolfsburg in Heidersberger den Visionär und holte ihn Anfang der sechziger Jahre als „artis in residence“ ins Wolfsburger Schloss. Es brauchte überzeugende Bilder, um die Ideen der Moderne, den technischen Aufbruch dieses jungen Ortes glaubhaft ins Visuelle zu übersetzen. Der von allen neuen Techniken Begeisterte und Umtriebige (Heidersberger lebte in Österreich, Frankreich, Holland, Dänemark, Deutschland, reiste u.a. in die USA, nach Instanbul und nach Cuba) schlug für diese Möglichkeit sogar ein Angebot aus, nach New York zu gehen. Seine Fotografien schafften es, diesem Ort aus der Retorte ein völlig neues, frisches und Richtung weisendes Image zu geben.
Zahlreiche seiner Aufnahmen haben das Bild einer ganzen Stadt und ihrer Architketur im Zeitraum dreier Jahrzehnte geprägt: die rauchenden und bedrohlich wirkenden Schornsteine des VW-Werkes, die endlose Reihe der blechernen Käfer bei der Verladung auf Güterzüge, die zahlreichen Ansichten von Gebäudefassaden mit spiegelnder Glasfläche, geöffneten Fenstern oder heruntergelassenen Jalousien, die strengen geometrischen Innenansichten, die sich in einer Pfütze spiegelnde Jahrhunderthalle in Frankfurt am Main – um hier nur einige bekannte Beispiele zu nennen. Diese Bilder sind Klassiker – klar und nüchtern, sachlich und reduziert, konzentriert und vollkommen, maßvoll und schön. Das ist Heinrich Heidersberger, offziell.
Heidersberger, privat
„Ich bin kein frommer Mensch, aber ich hab’ immer gespürt, dass dieser Urknall eine Menge an Schönheit hervorgebracht hat.“ Heidersberger liebt das Leben, ist mitten drin, sucht das Maximale, das Ungewöhnliche und fast schon Unerreichbare. Es ist bewundernswert, wie versessen er seiner Arbeit nachgeht, über seine Architekturaufnahmen hinaus an den Rhythmogrammen bastelt, sich immer neuer Themen annimmt, mit Technik und Chemikalien experimentiert, und nach immer neuartigen Bildlösungen sucht.
Unermüdlich, umtriebig, 150prozentig war er auch im privaten Leben. Damals in Paris trank er mit der künstlerischen Avantgarde, feierte mit Henry Miller oder schnorrte bei Ernest Hemmingway. Nach Paris folgten Linz, Den Haag, Kopenhagen, dann Berlin, zuletzt Braunschweig und Wolfsburg. Frauen verehrten und liebten ihn: dreimal verheiratet, hatte er mit ihnen sechs Kinder. Seine rauchig und tiefsonor klingende Stimme mit dem unverkennbar österreichischen Einschlag erzählt von so machem Abenteuer und weckt beim Zuhörer Sehnsüchte nach eigenen nicht erlebten Begegenheiten, Erinnerungen an Reisen, die wie in einem Filmstreifen das Bild eines vermeintlichen Bonvivants abspulen. Auch das ist Heinrich Heidersberger.
Die Reise von New York nach Cuba
1954, mitten im Nachkriegsdeutschland, fährt Heidersberger auf dem amerikanisch-italienischen Liner MS Atlantic von Southampton über New York nach Cuba und weiter zur Südspitze von Süd-Amerika. Landgänge gab es in New York und Havanna. Gemeinsam mit einem italienischen Freund, der Industriearbeiter und –fotograf war und den Heidersberger aus seiner Zeit bei den Stahlwerken in Braunschweig kannte, heuerte er als Bordfotograf an, um Touristen auf dem Schiff und während der Ausflüge an Land zu fotografieren. Teil des Unterhaltungsprogramms der Gäste waren tägliche Diashows, die nach dem Abendessen stattfanden. Jeder, der dann ein Dia wollte, konnte es für einen Dollar das Stück erwerben. Die Aufnahmen entstanden am Vortag und wurden über Nacht an Bord entwickelt. Zu den heute erhalten gebliebenen Dias kommen weitere 250 Schwarzweiß-Negativaufnahmen hinzu, deren überwiegende Anzahl vor Abfahrt in New York, einige während der Reise an Bord sowie direkt bei Ankunft in Havanna entstanden. Heidersberger wiederholte die Route New York – Cuba – New York insgesamt dreimal, ehe er wieder die Heimreise nach Deutschland antrat.
Sichtbar beeindruckt von der gewaltigen Silhouette New Yorks, den in die Höhe schießenden Wolkenkratzern, den architektonisch interessanten Brüchen und Neuerungen dieser für europäische Verhältnisse überschäumenden Weltmetropole, zog Heidersberger mit der Kamera durch die schnurgeraden Straßen. Immer wieder ging sein Blick in die Höhe, dorthin, wo die Spitze des höchsten Gebäudes Manhattans, das Empire State Building, in den Himmel ragt. Wie trunken wirken seine Aunfahen: stürzende, diagonal verlaufende, sich kreuzende Linien, schräg ins Bild ragende Laternen, Feuerwehrleitern, Ampeln Straßenschilder. Menschen eilen auf dem Trottoir, ihre Köpfe ragen kaum über den unteren Bildrand. Denn der Wolkenkratzer dahinter muss unbedingt mit ins Bild. Wie bannt man eine solche Stadt, die vielen Automobile und Menschen in den Avenues, die wuchtigen und schlank aufragenden Türme auf ein einziges Negativ von 6cm x 6cm Größe? Heidersberger versucht mit allen Mitteln seiner fotografischen Kunst, dieses Problem zu lösen. Ein solcher Ort verlangt nicht nach einer klaren, konzentrierten, rein sachlichen Bildsprache. Dem leichten, ineinander greifenden Zusammenspiel der verschiedenen Formen und Elemente, den Niveauunterschieden in einem Ort sucht er ebenso gleichwertig in seinen Bildern zu begegnen. Der Klassiker Heidersberger taucht ab in eine neue aufregende Welt.
Kaum an Deck der MS Atlantic wechselt er zur Profession des Kreuzfahrtfotografen und begibt sich in das Getümmel der Bordmannschaft. Hin und wieder legt er noch einen schwarz-weißen Negativfilm ein, mal um die bewegt-romantische See, das ausgelassene Treiben am Pool, die majestätische Größe des Liners oder das Marktgetümmel mit den Passagieren im Hafen von Havanna abzulichten. Hauptarbeitsmittel ist jedoch der farbige Diafilm. Die strenge Motivik des anerkannten Architekturfotografen Heidersberger aus Deutschland wird abgelöst vom Divertimento des bunten Lebens. Nicht wie Auftragsarbeiten, sondern wie private Urlaubsbilder erscheinen die Aufnahmen auf dem Schiff und in Havanna. Sie zeigen das frivole, leicht narzisstische Spiel der vorwiegend amerikanischen Touristen mit der Kamera. Genüsslich drehen und wenden sie sich vorm Objektiv, genüsslich sucht die Linse nach immer bunteren, ausgelassenen Motiven an Bord und an Land.
Folgt Heidersberger den gutgelaunten Schiffsgästen anfangs auf ihren Erkundungen und zu den verschiedenen Events, beginnen in Havanna langsam die beiden Welten der Touristen und Einheimischen auseinander zu driften. Wirken die Amerikaner auf Heidersbergers Bildern an Bord noch ausgelassen und unbedarft, erstarren sie an Land auf so machem Foto zur Maske, wirken blasiert, steif oder unsicher. Stolz, selbstbewusst blickend und aufrecht schreitend erscheinen die Einheimischen dagegen im Bild. Wie betört folgt Heidersberger mit seiner Kamera ihrer Musik, ihrem Rhythmus, ihrem Treiben auf der Straße und so manches Mal auch einer schönen Frau. Das mittlerweile gealterte Diafilmmaterial gaukelt eine Welt wie im Märchen vor mit bezaubernden Farben – in Pastellblau oder -braun und dann wieder im knalligen Rot. Heidersberger konnte den Reizen Cubas nicht widerstehen, entfernte sich immer weiter von jeden oberflächlichen touristischen Orten, bewegte sich hin zu den Nebenschauplätzen, die oft mehr über das Land und seine Menschen auszusagen vermögen. Trotz allem vergaß Heidersberger nicht, wer er war: ein Architekturfotograf. Nur haben es ihm jetzt nicht neue Formen angetan. Vielmehr faszinieren ihn die bunten, kleinen Holzhäuser der einfachen Landbevölkerung. – So jedenfalls könnte es gewesen sein!
Es mag verwundern, dass ein anspruchsvoller Fotograf, der normalerweise große Mühe in die künstlerisch autonome Umsetzung seiner Aufnahmen verwendet, plötzlich zum Unterhaltungsfotografen, vom klassischen Schwarzweiß-Abzug zum schnellentwickelten Farb-Diapositiv wechselt. Bordfotografie ist ein reines, flüchtiges Anwendungsmedium, ohne besondere Qualität oder gesonderte Fertigkeiten. Wichtig sind das richtige Gespür für gelungene Schnappschüsse, grandiose Posen, lustige Szenen, amüsante Begegenungen, lockere Stimmungen: ‚gut gelaunte’ und ‚leichte’ Bilder.
Die vielleicht Schönsten oder besonders Gelungenen sind möglicherweise verschollen. Alle ca. 250 Diapositive, die heute vorliegen, sind eine Restmenge, kleine Kabinettsücke, die wohl niemand käuflich erwerben wollte oder konnte, vielleicht auch vergessen oder bewusst zurück gehalten wurden. Hatte Heidersberger gar selbst Gefallen daran gefunden und diese kleine Sammlung einfach wie ein Tourist als Souvenir mitnehmen wollten? Mit offenbar immer größer werdendem Genuss ließ sich Heidersberger jedenfalls vom Zauber Cubas, nicht nur der touristischen Fassade, sondern auch dem Temperament des Fremden und Anderen hinter den Kulissen in den Bann ziehen. So unterschiedlich und differenziert sich dieses Diapositiv- und in Teilen auch Schwarzweiß-Konvolut vom offieziellen Heidersberger abhebt, es bleibt und ist doch Heinrich Heidersberger, ein anderer zwar, aber ebenso neugierig und offen.
© Franziska Schmidt, 2006
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