Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Gabriele Stötzer Ich-Körper
Camera Austria, Nr. 49, Graz, 2019
Gabriele Stötzer . Ich-Körper
Bröckelnde Festungen – Lebenslinien
»ich bin eine frau aus einem land / das es nicht mehr gibt / und gehe durch länder / die es für mich nie gab«
Sich immer wieder gegen Widerstände behaupten zu müssen und sich von diesen nicht beirren zu lassen, sondern sie zu überwinden, um Neuem offen und bestimmt entgegentreten zu können, ist bis heute eine von Gabriele Stötzers großen Stärken. Mit ihren künstlerischen Selbstbehauptungen und -erkundungen agiert sie seit Anfang der 1980er- Jahre bis heute in einem unermüdlichen Mit-sich-Ringen als Frau, Schriftstellerin und bildende Künstlerin. Wie ein lebendiges Gewebe spinnt sich das vielschichtige Œuvre Stötzers zu einem ganz eigentümlichen, kraftvollen Kosmos. Dieser ist in seiner »parallelen Vielfalt« an Zeichnungen, Malerei, Bildhauerei, Textilkunst, Keramik, Mode sowie Performances, Filmen, Fotografien, Künstlerbüchern, Prosawerken, Gedichten und Texten eindrucksvoll und überbordend zugleich. Von der eigenen Existenz und Identität, der körperlichen sowie seelischen Präsenz im Bild und Text durchdrungen, findet das Werk gleichsam seinen Ausdruck in mannigfaltigen künstlerischen Codes sowie Zeichensystemen. Stötzers Arbeiten richten sich dabei nicht nur gegen tradierte Rollenmuster, sondern auch gegen eine vom damaligen System DDR betriebene Auslöschung der individuellen Persönlichkeit.
Bereits während ihres Studiums der Germanistik und Kunsterziehung an der Pädagogischen Hochschule Erfurt übertrat Stötzer mit ihrer Unterschrift unter einer Petition gegen die Exmatrikulaion eines kritischen Kommilitonen die vom Staat auferlegten Grenzen, was zu einem Hochschulverweis und der »Bewährung« in der Produktion führen sollte. Ihre Unterschrift gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns im August 1976 brachte sie dann in Haft, verurteilt zu einem Jahr wegen »Staatsverleumdung«. Ihre künstlerische Kraft und Intensität begründen sich letztendlich vor allem aus den psychischen und physischen Seinserfahrungen, die sie während dieser Zeit im Frauengefängnis Hoheneck durchleben musste.
Nach ihrer Entlassung und einer dreijährigen »Reintegrationsmaßnahme« in einer Schuhfabrik begann mit dem Kauf eines Webstuhls ihr Dasein als Künstlerin, unabhängig und im sogenannten Untergrund. Das Arbeiten mit Textilien, das Weben, Spinnen und Nähen finanzierten nicht nur ihr Leben, zugleich war die Rückbesinnung auf alte Frauenkünste ein reinigender Prozess, der Erfahrenes und Traumatisches in neue Denkräume lenken und das innere Chaos disziplinieren konnte. Die Kunst und das Schreiben wurden zur Überlebensnotwendigkeit, die Fotografie letztendlich zum Bilddokument einer inneren Transformation. Stötzer, die zuerst in Erfurt die privat geführte Galerie im Flur bis zu deren Verbot 1981 geleitet hatte, arbeitete fortan multimedial und genreübergreifend, anfangs allein, dann immer mehr mit anderen Frauen. Erste Fotoarbeiten entstanden 1981 gemeinsam mit der Künstlerin Cornelia Schleime. In den Folgejahren setzten sich Stötzer und weitere Protagonistinnen mit einer Welt archaischer und weiblicher Vorstellungen und Bilder auseinander, die in individuellen Wünschen, Fantasien oder konkreten Ängsten ihren Ausdruck fanden. Die Frauengemeinschaft um Gabriele Stötzer herum avancierte in den 1980er-Jahren zur einzigen Künstlerinnengruppe in der DDR, die mehr als zehn Jahre lang kreativ und selbstständig arbeiten sollte und deren Schaffen poetische Widerständigkeit und »Projektionsfläche wie auch Ort politi- scher und sozialer Einschreibungen« war. In gemeinsamen Fotoaktionen, Genderperformances, experimentellen Super-8-Filmen, in Inszenierungen, »Mode-Objektshows« sowie Untergrundausstellungen erhoben es die Künstlerinnen zu ihrem Prinzip, Themen des eigenen Lebens und Empfindens wie Verletzlichkeit und Identität in künstlerische Formen zu bannen. Ihre Leiber, nackt oder in Maskerade, ihre Verwandlungen gerieren zum Aufbegehren gegen ein System wie auch gegen einen tradierten Kunstbegriff. Sie forderten kompromisslos eine andere Subjektivität, fern vom sogenannten sozialistischen Frauenbild, fern von den Vorstellungen des Maskulinen. Bis heute versteht sich Stötzer als Künstlerin und Vermittlerin, die mit allen Sinnen, mit ihrer Sprache, ihren Bildern, mit dem Körper, mit ihrer Präsenz imaginäre oder reale Mauern zum Wanken bringen möchte.
Selbstgebrannt und selbstbefreit – Künstlerische Behauptungen
Für Gabriele Stötzer stand die Fotografie stets in direkter Verbindung zu ihrer Person und ihrem Leben und hat sich letztendlich wie in einem Transformationsprozess aus dem Schreiben heraus entwickelt, erst sprach- dann bildgewaltig: »Ich habe das Fotografie- ren bewußt entdeckt, als eine Ausdrucksmöglichkeit für mich, [...] in seinen Resultaten ist das Fotografieren genauso unbestechlich wie ein literarischer Text, es ist als Foto Ausdruck für schlecht, gut, oberflächlich, Wahrheit, Unwissenheit, Dilettantismus.« Stötzer entwickelte eine eigenwillige Form der Bildsprache, welche die Fotografie als konzeptuelle Kunstform ausweist. In der seriellen Reihung der Motive folgt sie den Prinzipien der zeitgenössischen Kunst als Bild- und Zeichensystem. Abgesehen von einzelnen ersten Ansichten wie Kanalisationsdeckeln als »Eingänge zur ›realen Unterwelt‹« oder surreal wirkenden Stillleben der »Hausfrauenarbeit« steht der weibliche Körper mit seinen vielen Erzählsträngen stets im Vordergrund. Momente von »Sinnlichkeit, Sehnsucht und Fühlbarkeit« ließen sich so mit Hilfe der Kamera entdecken und im Bild miteinander verbinden. Ihre »unlautere Art, zu fotografieren«, wie Stötzer es selbst formulierte, folgt einer zufälligen, fast unbewusst-selbstschöpferischen Handlung aus den inneren Spannungszuständen heraus. In Eigenversuchen hat sie sich vor der Kamera dem eigenen Körper erst angenähert, dann hingegeben: »Weißer Raum, laute Musik, eine nackte Gestalt. Dann schnelle Folgen von Körperberührung: Haut und Hände. Es entstehen Formen, Flächen, Begrenzungen, Brüche, Räume. Erst die Austastungsmöglichkeiten des Gesichts, dann der Körper: Bewegung, Krümmungen, Verstecke aufstöbern oder schaffen. Den Rücken betasten, wie weit man kommt, wie gelenkig man ist, wie sich Haut zusammenpressen lässt, wie sich Hände auf dem Körper überhaupt ansehen. Wie Hände den Körper auflösen, einteilen, abgrenzen, öffnen ...« Dem eigenen Porträtbild begegnet Stötzer dabei mit ihren Blicken in einem symbolischen Akt, das Antlitz halb verdeckt, gegen eine Glasscheibe gepresst oder mit einer Bemalung getarnt. Zudem erforscht und zerlegt sie den eigenen Körper in sich überlagernden »Spiegelreflexionen« (1984) zu einem fragmentarisch-kubistischen Arrangement. In intimen Zwiegesprächen findet die Künstlerin mit einfachen, nachvollziehbaren Gesten und Figuren zu einer für sie gültigen Bildsprache. Stehend, schrei- tend, sitzend, hockend, sich verrenkend, abwehrend, provozierend durchmisst sie den selbst geschaffenen Raum, um ihre Festigkeit und ihr Ichbewusstsein zu prüfen. Die Handlungen gleichen Bestrebungen, aus sich selbst zu schöpfen, um zu erkunden, wie fantasievoll und frei sie zu agieren vermag: »Ich verfolge mich. Nach innen und nach außen, mein Denken, mein Fühlen, mein Schweigen, mein Reden, meine Zurückhaltung, meine Öffnung.«
Mit welchem Gestaltungswillen und welch innerer Überzeugung Stötzer sich der eigenen Aufgabe stellt, wird in der Arbeit »Abwicklung« (1983) ersichtlich, die als ein symbolistischer Befreiungsschlag verstanden werden kann. Mit Vehemenz stemmt sie sich gegen eine sie zum Nichts definieren wollende Macht und drückt ihren mit Tomatenmark eingeriebenen Leib gegen die papierne Wand und damit gegen die Auslöschungsversuche des Staates und der sie umgebenden Männerwelt. Kraft- und geheimnisvoll vollzieht sich im Bild eine spannungsgeladene Wandlung. Die Arbeit gleicht einem Statement, einer Selbstbehauptung, die die Bedeutung von Sicht barmachung und Erfahrbarkeit der eigenen Identität durch eine äußere körperliche sowie innere seelische Präsenz im Bild unterstreichen soll. Gegen Liquidation und Auslöschung gerichtet, hinterlässt das Abrollen des Körpers auf Papier einen persönlichen Abdruck, eine Form des Beweises, einen genetischen Code der eigenen Existenz.
Leibliche Zeichen – Performative Fotografie
Im Selbstversuch hat Stötzer den Weg zur Arbeit mit anderen Frauen gefunden: »Mit ihnen kann ich spielen, lachen, lernen, arbeiten. Mit ihnen kann ich mich auch addieren, potenzieren, verfremden, komme von der individuellen [...] zur allgemeinen Analyse unseres Seins.« »Berührungsfotos« hat sie diese Bilder auch genannt. Ohne Anspruch, ohne Absicht begegnen sich Protagonistinnen mit Gesten und Blicken, berühren und befragen sich. In der Rückkehr zur Einfachheit, zum eigenen Maß, offenbart sich die Suche vom Einzelwesen zum Allgemeinwesen, von der eigenen Sinnlichkeit zu der anderer. Es geht darum, die Angst in der Begegnung zu verlieren. Die Bildideen zu den Aufnahmen basieren oft auf einzelnen Wor- ten oder einfachen Begriffen. In dem Tableau »Das Ei« (1982) zum Beispiel werden archaische und matriarchale Bildwelten themati- siert. Das Ei steht als Symbol für die Fruchtbarkeit und reproduktive Fähigkeit des weiblichen Körpers. Diese lebensbejahende Meta- pher wandelt sich im Moment des Zerschlagens zu einem traumatischen Sinnbild gelebter Realität. In den fotografischen Geschlechterspielen »Das Loch« (1982) und »Der Schwanz« (1982) changiert die Frau im Akt des Sich-zur-Schau-Stellens zwischen dem Objekt der Begierde und einer Art ironisierender Persiflage. Zugleich markieren die Öffnungen des weiblichen Körpers in »Körperlinien« (1982) die Übergänge zwischen der Innen- und Außenwelt und die mit schwarzer Plakatfarbe aufgemalten Linien symbolisieren Gegenwehr und zugefügte Verletzungen. Die Arbeit »Schwingungs- kurve« (1982) offenbart in einem freischwebenden Zeichensystem Lebens- und Energielinien, die dem Dasein Sicherheit und Bedeu- tung verleihen mögen. Wie nah Körper einander kommen können, wird in »Synthese« (1982) deutlich, in der zwei Darstellerinnen Haut an Haut fest aneinandergepresst und umwickelt förmlich miteinander verschmelzen.
In »Mumie« (1984) geriert der ganz und gar in Mullbinden geschnürte Körper zur Verweigerung gängiger Frauen- und Geschlechterrollen. Ein zur Isolation verdammter Leib verharrt am Ende, jeglicher Individualität beraubt, in völliger Bewegungslosigkeit, starr wie eine Untote, die nicht leben, aber auch nicht sterben kann. In dem Tableau »Poesie« aus dem Künstlerbuch »Gedankensplitter« (1984) blicken wir auf eine Göttin, die als Sonne ihre Haare erstrahlen lässt.
Dies sind Bildwelten, die irritieren, verwirren und provozieren: »Frauen nackt ja, aber nicht so. Nicht in so barocker Üppigkeit, Zügellosigkeit, Fröhlichkeit. Nicht diese deutungslose Uferlosigkeit. [...] Keiner nahm das dargebotene Frauenbild an, für Pornobilder zu wenig, für Kunst zu chaotisch, als Emanzipationsspiegel zu hexenhaft.«
Einschreibung und Imagination
Für Gabriele Stötzer liegt die Kraft des Einzelnen vor allem in der Kraft der Begegnungen, weswegen sich ihr Agieren auch auf die soziale Kunstform und das gemeinsame Erleben in einem kollektiven Prozess konzentriert. Dabei offenbart sich die Qualität der Suchenden – in der Geduld und Aufmerksamkeit spannen sich Körper und schärfen sich Sinne. Das Unberechenbare und das Unfertige liegen letztendlich in den Träumen verborgen, und Frauenträume können Leben verändern.
Gabriele Stötzer bringt Körper zum Sprechen und Klingen, indem sie ihre Figuren zu sozialen Plastiken verwebt, die wie geheimnisvolle Zeichensysteme aus dem Bild heraus in den Raum und letztendlich in unser Leben hinein zu wirken beginnen. Dies gesche- hen in den ersten gemeinsamen Aktionen mit Cornelia Schleime in Hüpstedt, in denen sich die Protagonistin in ein Augenmeer wie in einen Teppich der Weisheiten hüllt. So imaginiert in dem Super- 8-Film »Trisal« (1986), wo sich Tod, Mythos und Widergeburt in einem körperlichen Spiel verbinden. So verstanden von der Träge- rin von Stötzers »Römisches Korsett« (1990), die sich in einer der letzten »Mode-Objektshows« der Künstlerinnengruppe als Königin präsentiert und damit den Anbruch einer neuen Zeit verkündet. Und zuletzt auf beeindruckende Weise vollzogen, als sich in einer fulminanten Lichtintervention die gezeichneten Körper Stötzers über den Erfurter Dom ergießen.
© Franziska Schmidt, 2019
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