Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Andreas Rost, 1990
Next Images. The Past of the Future, ed. by Daegu Photo Biennale, South Korea, 2018, p. 48
Andreas Rost "1990"
AUGENBLICKE: 1990
Es ist die Nacht der Deutschen Wiedervereinigung. Vom 2. auf den 3. Oktober zieht es die Menschen auf die Straßen und sie versammeln sich vor dem Reichstag und Brandenburger Tor. Die deutsche Fahne wird gehisst, das Deutschlandlied erklingt, Feuerwerk erhellt das Firmament. Es gehen Bilder um die Welt: jubelnde Massen, trunken vor Freude, überwältigt vor Emotionen, wehende Banner, Rauchschwaden, Euphorie, Empathie aber auch Wehmut und Bitternis in so manchem Gesicht. Für viele beginnt eine neue Zeit, für andere zerschellen Hoffnungen und Wünsche.
Einem intuitiven Beobachter gleich ist Rost von der Dämmerung an unterwegs, möchte sehen und die Beweggründe der Anwesenden verstehen. Woran denken die beiden wie erstarrt dreinblickenden älteren Damen? Was bewegt das andächtig aufschauende Paar? Welche Zukunft wollen ein Mädchen und Junge für sich gemeinsam entdecken? Wie auf einer Bühne stehen die Personen im Schein des Kamerablitzes, nehmen den Fotografen nicht wahr, schauen durch ihn hindurch oder an ihm vorbei und mögen doch im Einklang mit der Kamera sein: ein Zwiegespräch mit sich selbst! Es sind seltsam verhangene Bilder, völlig in sich belassene fotografische Momente. Den Taumel, das Befeuernde, Impulsive, teils auch Aggressive dieser Nacht scheinen wie ausgeblendet zu sein. Den Jubel sieht man nur schemenhaft sich im Hintergrund aus dem Dunkel schälen.
Jahrzehnte später – Rost sortiert, formuliert und arrangiert die Geschichte(n) für sich neu. Vergrößerungen und Montagen, den Fokus aufs Detail und Gesicht, erzeugen nun eine ungewohnte Stimmung und Bedeutsamkeit: Fackeln, der Arm zum Hitlergruß gestreckt, die Reichsflagge geschwenkt. Wir sehen das, was der Fotograf damals nicht wahrnehmen wollte, versteckte Momente, über den Augenblick hinausgehende Verweise sowie Symbole im Bild. Ereignisse und Geschichten lassen sich, näher betrachtet, neu erkennen und anders benennen: Die Gegenwart und Zukunft der Fotografie ist ihre eigene Vergangenheit!
© Franziska Schmidt, 2018
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