Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Peter Oehlmann, Über Land
Exhibition / Opening Speech / Peter Oehlmann, Über Land / Haus am Kleistpark, Berlin / 23.08.2018
Peter Oehlmann "Über Land"
„Die Landschaft meiner Kindheit ist in mich eingeschrieben wie die Wärme, die Stimme, der Duft meiner Mutter. Der gewundene Fluss, die Burg, das gelegentlich zu Felsen aufragende Porphyrgestein, dessen Erosion die frisch gepflügten Felder in der Sonne rot aufleuchten ließ. Die tief ins Geländeprofil eingeschnittene Bahnstrecke, an deren in der Sommerhitze flirrenden Hängen große Brombeeren mit immer etwas rußbedeckten Blättern wuchsen und scheue Eidechsen blitzschnell unter Steinen Deckung suchten. Die Schrebergärten, die aus dem Dachfenster betrachtet einer seltsam lebendigen Landkarte glichen. (...) Alles war groß und voll von Geheimnis und dennoch beruhigend vertraut.“ (Peter Oehlmann)
Landschaften müssen empfunden werden! In jedem von uns existiert ein Gefühlsgedächtnis, das tief verankert ist, lange bevor die reflektierende Erinnerung einsetzt. Denken wir an Landschaft, denken wir auch an Heimat, zumindest an eine gefühlte Heimat. Dies kann paradoxerweise auch die Fremde bedeuten. Nicht immer lässt sich beschreiben, warum bestimmte Orte oder Gegenden uns berühren. Warum also fühlt man sich einer Region verbunden? Sind es die Farben, ist es die Form, eine Stimmung oder ein Nachsinnen darüber?
Eine Landschaft kann im weitesten Sinne auch als Metapher verstanden werden, etwas, das wir geprägt haben und uns wiederum bestimmt. Landschaften unterliegen dem Wandel der Zeit, der Geschichte und besitzen deswegen eine menschliche aber auch sinnliche Dimension. Gibt es so etwas wie eine vorbestimmte, erinnerte Landschaft, die in uns wohnt? Einer Landschaft kann auch eine bestimmte Aura zugrunde liegen, ein „sonderbares Gespinst von Raum und Zeit“ (Peter Sager). Dafür muss der Anblick nicht einmal schön sein. Alltägliche, karge, entleerte Flächen oder schwer zu deutende Ausschnitte können ein sonderbares Eigenleben entfalten. Eine gewisse Leere scheint wichtig, um das Wesentliche im Blick behalten und das Bild mit persönlichen Geschichten und Gedanken füllen und verfeinern zu können. So vermag eine Form von Poesie nichtssagende Landstriche in bedeutende zu verwandeln und ihnen einen tieferen Sinn zuzuschreiben.
Ortswechsel: Wir fahren Überland. Mit der Bahn Nr. 5 geht es von Halle an der Saale weiter bis nach Bad Dürrenberg - Auf 33 Kilometern windet sich die längste Überlandbahn Deutschlands durch die einst wichtige Salzstadt und den südlichen Saalkreis hindurch, zieht an Orten vorbei, die als neuralgische Schnittpunkte für die Vergangenheit und Gegenwart, den Strukturwandel und die wirtschaftlichen Umwälzungen einer Region stehen – Da ist heute wieder die Nationale Akademie Leopoldina, welche Natur, Wissenschaft und Gesellschaft erforscht. Da sind das Borlach-Museum und Gradierwerk, die von der ehemals betriebenen Salzgewinnung erzählen. Da sind der älteste Eisenbahntunnel im Land, sowie der größte abgeschlossene Chemiepark Deutschlands. Es geht durch Schkopau und Merseburg, vorbei an Leuna, vorbei an Saale-Elster-Aue, Lauchagrund und Geiseltal – Wir begegnen exemplarisch Landschaften in vielerlei Gestalt, im Großen wie im Kleinen.
„Über Land“, wie übers Land fahren, hat Oehlmann auch seine hier gezeigte Werkauswahl aus 30 Jahren genannt. Was in den 1980er und 1990er Jahren dann in Leipzig und Anhalt begann, hat Oehlmann bis heute auf seinen Reisen hinaus in alle Welt nicht losgelassen: überformte Landschaften, von ihm in Bildern weiter gedacht. Durch Gegenden hindurchfahren, in Gebieten unterwegs sein, letztendlich rausgehen, aufbrechen, fortreisen, sich bewegen – So könnte es bei Oehlmann gewesen sein. Und „eine kleine Reise ist bereits genug, um uns und die Welt zu erneuern.“ (Marcel Proust)
Oehlmann hat es für sich so beschrieben: „Im Zug durchs Land zu fahren und die wechselnden Ansichten der Landschaft zu betrachten, hat nicht nur eine filmische Faszination. Mitunter erinnert es mich an das Umblättern der Seiten eines vielschichtigen Textes, den ich wegen der Geschwindigkeit nur diagonal lesen kann, dessen Szenen und Bilder mir aber später in anderen Bedeutungszusammenhängen aufscheinen.“
Auf seinen Reisen, einer Suche nach Geschichten, Ereignissen, vertrauten und fremden Spuren, die sich in uneindeutigen, rätselhaften Gegenden finden lassen, entstanden Bildepisoden wie aus einem Erzählstück. Eine Art Bilder-Kompendium hat Oehlmann geschaffen, das Zeiten, Abläufe, Entfernungen, Visionen zu einer metaphorischen Erzählung, gar zu Störbildern und einem abstrakten Bildgefüge zusammenschmelzen lässt. Seine Arbeiten stellen sich als Erinnerung oder Illusion in schwarzweißen Tönen dar und verweisen auf Gegenwärtiges und Bevorstehendes in zart-satten Farben. Wir begegnen Ausschnitten aus den Serien „Graulandbilder“ (1986–1988) oder „Anhalt“ (1996–1999) und folgen den Eindrücken, die Oehlmann ab den 2000er Jahren vielerorts u.a. in Frankreich, Chile, Argentinien, Georgien, auch Deutschland sammeln konnte.
Seine Bilder zu "finden, bevor man mit dem Suchen beginnt.“ (Peter Thieme), den Unschärfen des Gesehenen nachzugehen, hat Oehlmann, der „Bruchstellensucher“ (Göran Gnaudschun) trefflich vermocht. Er hat seine Aufmerksamkeit an die Ränder, an die Peripherien, auf die Fragezeichen im Sucher und Risse im Bild gelenkt. Das Dazwischen, das Indirekte, das Unzeigbare, das aus dem Bild hinaus Verweisende sprechen Oehlmann an. Wie gelingt es, ein Portraitbild von Gegenden in ihrem räumlichen und zeitlichen Maß zu entwerfen? Wie lassen sich Struktur- und Weltenwandel fotografisch formulieren? Und was kann Landschaft eigentlich überhaupt von all dem wiedergeben? Letztendlich ist alles da, man muss nur genau hinsehen.
Die intellektuelle Enge eines politischen Systems, die bleierne Müdigkeit der Zeit damals im Osten lassen sich mit einer ästhetischen Armut im Bild, in der sich nur ein paar Linien in der Tiefe verlieren, in einer Art Gleichnis skizzieren. Und über allem liegt ein Schleier: Wie über den Leipziger Kolonien, die sich zu einem gleichförmig-eintönigen Feld aneinanderreihen. Wie über dem Birkenwald, der sich als Trugbild auf Tapete entpuppt. Wie über den, sich aus dem Dunkel schälenden Streben eines Geländers oder den nicht enden wollenden Stadiontreppen als diffuses, fast bedrohliches Gespinst. Nicht zu vergessen die karge „Zuckerrübensteppe von Anhalt“, die kulissenhaft wirkenden Abraumhalden im Mansfelder Land, ebenso jene grauen, verbauten und alltäglichen Plätze, sowie allerorts Gebäude ohne klarem Gesicht: „Ein beziehungsloses Nebeneinander aller Dinge, die (vermeintlich) keine Beziehung zueinander besitzen.“ (Heinz Czechowski)
Oehlmanns frühe Schwarzweiß-Aufnahmen verweisen auf ein Ist-Gefüge von Leben und Schein. Es sind Befindlichkeitszuschreibungen, die von der Brüchigkeit unseres Daseins erzählen. Mag es Oehlmann ähnlich ergangen sein, wie Einar Schleef über sein „Zuhause“ Sangerhausen zu formulieren wußte? "Nie mehr zurück, das verwinden, fliehen, bis man ein eigenes Zuhause hat, was einen erstickt und auffrißt." (Einar Schleef) In diesem kleinen kargen Umfeld versinken wir wahrlich in historischer Melancholie und können doch zugleich dabei Schönheit und Frieden empfinden.
Hingegen die Farbeindrücke seiner späteren Reisen durch die Welt, die überall das Eingreifen und Durchgreifen des Menschen festzuhalten vermögen – als abstrakte Poesie, die sich in der Oberflächenstruktur, in kleinen angedeuteten Details niederschlägt. Und stets ist der Mensch mit im Bild! Vor einem Gletscherfeld sehen wir ihn stehen, auf das weiße endlose Panorama wie auf einen Bildschirm schauen. Aufgeworfene Erde durchpflügt und zerstört die Weiten. Wüstungen, vertrocknetes Land. Gezackte Straßenlinien fräsen sich durchs Gebirge und über Ebenen und die Menschen, ameisengleich, dringen bis in die entlegensten Winkel vor. Überall Relikte der Zivilisation verstreut, in die Natur verbaute Häuser, ins Nichts führende Betonplatten – dies ähnelt unwirklichen Szenerien, die sich aber genau so finden lassen.
Es sind große und kleine Augenblicke, All-Ansichten oder zurechtgestutzte Fragmente, die Oehlmann pointiert festzuhalten wusste. Nicht selten werden wir beim Betrachten der Bilder irritierende Bildanalogien entdecken, die nicht so recht zusammen passen wollen aber doch zugleich auch aufeinander verweisen. Letztendlich hat jede einzelne Furche, jede Spur alles zuvor Dagewesene unwiederbringlich verändert.
Fotografie gleicht einer elegischen Kunst, einem nostalgischen Moment. Und wie dieses Medium einen Moment herausgreifen und erstarren lassen kann, bezeugt das unerbittliche Verfließen der Zeit. (Susanne Sonntag) Im 19. Jahrhundert wurde noch die Allgegenwart des Fotografen als etwas Großartiges empfunden, wie auch seine Bildlandschaften erhaben und voller Zauber waren. Heute begegnen wir der Natur immer öfter wie ein all-over menschlicher Zustände und Hinterlassenschaften. Und überall Touristen. Landschaft verkommt zur Anschauung, zum Objekt, an dem man sich einfach bedienen kann. „Der (Mensch) zerstört, was er sucht, indem er es findet.“ (Hans Magnus Enzensberger)
Die Natur erscheint in unseren Vorstellungen übermächtig und hyperreal, ist jedoch beim näheren Hinsehen äußerst fragil – Es offenbaren sich so der Kontrast zwischen der Realität und unserem Streben zum Ursprünglichen hin. Auch davon wollen uns die Fotografien von Oehlmann erzählen. Vielleicht verhält es sich mit Landschaft und dem Über-Land reisen so, wie Oehlmann es selbst einmal beschrieben hat: „Manchmal stelle ich mir den Tod als immerwährende Rückkehr in diese Landschaft (– gemeint ist die der Kindheit –) vor.“ Somit bewahrt jeder im Innersten für sich eine Sehnsucht und damit seine eigene Sicht auf uns selbst und die Landschaft in uns.
© Franziska Schmidt, 2018
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