Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Familie Krupp im Spiegel der Photographie
Krupp – Fotografie aus zwei Jahrhunderten, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Essen, 2011, p.26-41
Zwischen Repräsentation und Erinnerung. Die Familie Krupp im Spiegel der Fotografie
Die ältesten, erhalten gebliebenen Aufnahmen im Historischen Archiv Krupp stammen aus der Anfangszeit des Mediums Fotografie. Es sind Porträtbilder von Alfred Krupp (1812-1887) und seiner späteren Frau Bertha, geborene Eichhoff (1831-1888), in Form von Daguerreotypien, jene „spiegelnden Familienbildnisse in abbröckelnden Papiermachérahmen oder verstaubten Sammetetuis [...], die man erst in einem gewissen Winkel zum Auge bringen muß, um sie überhaupt sehen zu können.”
1846, nur wenige Jahre nach Erfindung der Fotografie, entstand das erste Porträt von Bertha mit ihren Eltern August und Clara Ernestine Eichhoff. Das sorgfältig arrangierte Bild vermittelt eindrücklich eine charakteristische Szenerie früher Lichtbildkunst: Die damals 15jährige Bertha an einem Tisch stehend, blickt leicht entrückt zur Kamera, die Mutter daran sitzend, schaut wie einem Impuls folgend aus dem Bild ins Leere hinaus, der Vater ins rechte Profil gesetzt, sieht wiederum in Richtung beider Frauen. Leger einen Ellenbogen auf die Stuhllehne gestützt, hält er in der einen Hand ein Blatt Papier, so als ob er grübelnd im Lesen innehält. Ausdruck melancholischer Besinnlichkeit begegnet uns dagegen auf einem um 1850 in Trier entstandenem Bildnis: Bertha in festlicher Kleidung allein an einem Tisch sitzend, den Ellenbogen auf die Platte gestützt, die Außenfläche ihrer linken Hand adrett unters Kinn geschoben, Pflanzen, ein Vorhang im Hintergrund, eine auffällig gemusterte Tischdecke säumen die Kulisse. [Abb. 1 und 2] Für die Zeit signifikant sind aber ebenso zwei um 1850 entstandene Daguerreotypien, den ersten fotografischen Darstellungen Alfred Krupps, auf denen Krupp mit geradem und ernstem Blick in Richtung Kamera schaut bzw. wie im zweiten Beispiel diesen mit ernster Miene in aufrechter, gedrehter Körperhaltung links zum Bild hinaus lenkt. Die seitlichen Haarsträhnen sind sorgfältig nach vorn gekämmt. Haltung, Kleidung und Ausdruck sollen signalisieren – hier zeigt sich ein junger Unternehmer, der seit 1848 der alleinige Eigentümer der 1811 gegründeten familieneigenen Gussstahlfabrik ist. [Abb. 3 und 4]
Seinem Abbild gleichsam gegenüberzustehen, sich seines Selbst und des Erreichten zu vergewissern und zu zeigen ‚ich bin wer’, war bis dahin vor allem dem Adel vorbehalten. Das aufstrebende Bürgertum, zu dem ebenso die Familie Krupp zu zählen ist, suchte und fand in der Fotografie ein adäquates Mittel der Selbstdarstellung, welches darüber hinaus eine ‚realistischere’ und authentischere Wiedergabe ermöglichte, als es bisher mit der Malerei erreicht werden konnte. Suggerieren die frühen fotografischen Beispiele des Krupp-Archivs eine ganz im Geschmack der Zeit und im Stil des Biedermeiers gehaltene Szenerie, in der Privat- und Familienleben eine neue Wertigkeit erlangte, sind die Aufnahmen von Alfred Krupp vor allem auch als Ausdruck einer bürgerlichen Kultur zu verstehen, in der die Selbstvergewisserung der eigenen Person und gesellschaftlichen Position offenbart und untermauert werden sollte. Diese in den ersten Fotografien angelegte Haltung des Privaten und des Repräsentativen sowie ein auf die eigene Person hin ausgerichtetes unverwechselbares Erscheinungsbild ist charakteristisch für das Familienverständnis der Krupps und wird uns in den zahlreichen Porträtansichten des Hauses immer wieder begegnen.
Porträtchronik einer Familie
Ungefähr 120 Jahre, von den ersten Atelierporträts um 1846 zu den letzten privaten Reisebildern um 1966, umfassen die photographischen Darstellungen der Familie Krupp, die sich bis heute im Historischen Archiv auf der Villa Hügel in Essen erhalten haben. Nicht nur als eingangs erwähnte Daguerreotypien, auch in Form von Ambrotypien und Ferreotypien, als Salzpapier- oder Albuminabzüge, letztere in den beliebten Standardformaten Visit oder Cabinet, in den Edeldrucktechniken der Kunstphotographie um die Jahrhundertwende oder den Verfahren des Bromsilbergelatineabzuges und der Farbfotografie liegen die zahlreichen Bildnisse vierer Generationen vor – angefangen mit Alfred und Bertha Krupp über Sohn Friedrich Alfred Krupp (1854-1902) und seiner Gattin Magarethe (geborene Freiin von Ende, 1854-1924), den beiden Töchtern Barbara (1887-1972) und Bertha (1886-1957), der Erbin bzw. Alleingesellschafterin der Krupp AG und ihrem Mann Gustav von Bohlen und Halbach (1870-1950) bis hin zu den acht Kindern, darunter Sohn Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967), dem letzten alleinigen Eigentümer der Firma . Die Bilder wurden im Hinblick auf ihre unterschiedliche Verwendung in diverse Größen und mit variierenden Bildausschnitten vervielfältigt, auf Bütten kaschiert, mit Masken versehen, auf farbigen Karton montiert, in Präsentationsmappen gebracht, mit Pergamin geschützt, in Fotoalben sortiert oder Schachteln bewahrt. Sie dienten sowohl der persönlichen Betrachtung als auch der öffentlichen Präsentation, gingen als Geschenke an Familienmitglieder, Verwandte oder Freunde, wurden zur Ehrerbietung den Gästen des Hauses, Geschäftspartnern und Förderern des Unternehmens überreicht, gelangten zur Veröffentlichung in Zeitungen oder Zeitschriften oder fanden als Gruß- und Bildpostkarten ihre Bestimmung.
Die Namen der Fotografen, soweit heute noch zu recherchieren, zählten damals durchaus zu den ersten Adressen in Deutschland. Ganze Portraitserien, über mehrere Jahre hinweg in verschiedenen Sitzungen entstanden, fotografierten prominente Vertreter des Fachs wie Philipp Graff, Hanns Hanfstaengl und Nicola Perscheid aus Berlin, das Atelier Elvira aus München oder Jacob Hilsdorf aus Bingen. Aber auch lokale Studios aus Essen erhielten wiederholt Aufträge. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit stammen von Fotografen internationalen Rangs wie Yousuf Karsh, René Burri oder Arnold Newman. Ganz abgesehen von den zahlreichen Namen, die mit einzelnen Bildern ihren Beitrag zur Familienporträtgeschichte Krupp geleistet haben. Die aufgeschlossene Haltung des Hauses dem Medium Fotografie gegenüber sowie die persönliche Leidenschaft einzelner Mitglieder veranlasste ebenso einige von ihnen, Alltag und Privatleben mit der Kamera festzuhalten.
So entstanden im Laufe der Unternehmer- und Familiengeschichte Krupp, von insgesamt knapp zwei Millionen sich im Archiv befindlichen Fotografien, an die 1.100 Familienbilder, die bis zum aktuellem Zeitpunkt gesichtet und weitestgehend erfasst in den klimatisierten Räumen des Historischen Archivs Krupp liegen . Erhalten hat sich auf diese Weise ein umfangreiches Spektrum an Bilddokumenten, die dem öffentlichen Wirken und Andenken sowie der Selbstvergewisserung der Familie dienten. Auch wenn die Arbeiten vom Geschmack ihrer jeweiligen Epoche geprägt und nach den Bedürfnissen ihrer Auftraggeber entsprechend gehalten sind, vermögen die Familienbilder im Archiv durchaus einen Einblick in die allgemeinen Tendenzen der Porträtdarstellung innerhalb der Fotografiegeschichte zu vermitteln. Dies betrifft die technischen Möglichkeiten und sich wandelnden Formen des Mediums, die ebenso in der Bildsprache und im ästhetischen Ausdruck der Aufnahmen wieder zu finden sind. Die quantitative Gewichtung der Porträtbilder der einzelnen „Krupp-Dynastien“ untereinander vermögen darüber hinaus Rückschlüsse über die Entwicklung und das Selbstverständnis eines Unternehmens zu geben, das zeitweise zu den führenden Industriekonzernen Europas gezählt werden konnte. So verweist sowohl der Umgang mit dem Medium als auch die Auswahl der Fotografen auf eine zunehmende Professionalisierung im Hinblick auf die eigene Positionierung im Bild und findet in einem immer subtiler werdenden Ausdrucksstil zu neuer Größe. Das man sich dabei durchaus an adäquate zeitgenössische Beispiele und aktuell populäre Bildformeln der politischen und wirtschaftlichen Elite orientierte, entspricht der gesellschaftlich hohen Stellung der Krupps. Im privaten Umfeld unterscheiden sich die spontanen Schnappschüsse und Erinnerungsfotos in ihrer Intention und den bevorzugten Motiven kaum von vergleichbaren Beispielen. Die Krupps haben ihren Alltag und ihr privates Umfeld meist ebenso wahrgenommen wie andere fotografierende Familien des gehobenen Bürgertums auch.
Bemerkenswert erscheint das fotografische Porträt- und Familienarchiv Krupp in seinem Umfang und in seiner Vielfalt und nimmt als Teil und Dokument der deutschen Fotografiegeschichte eine beispielgebende Position im Vergleich kongruenter Unternehmerfamilien ein, wenn auch sich durchaus Ähnlichkeiten und Parallelen zu anderen Nachlässen finden lassen.
Das Auftragsporträt als repräsentativer Ausdruck
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Excerpt © Franziska Schmidt, 2011
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